Prenzlau 17.08.2010 >> Bericht

Der Fall Jennifer

Mildes Urteil nach Verständigung im Vorfeld

Jeweils neun Monate auf Bewährung lautete das Urteil gegen die Eltern der 14 jährigen Jennifer, die sich gestern vor dem Amtsgericht Prenzlau wegen Verletzung ihrer Fürsorge- und Erziehungspflicht zu verantworten hatten. Neun Jahre lang hielten sie die Tochter in ihrem Haus in dem uckermärkischen Dorf Lübbenow versteckt, bis die Behörden das Mädchen im Juli 2009 dort herausholten.

Der Prozess begann mit der Aufforderung von Strafrichter Zech an die beiden Angeklagten: „So, könnten wir uns dann kenntlich machen!“ Die beiden Pflichtverteidiger Olaf Müller und Waltraut Ehrlich hatten ihre Mandanten gut präpariert, um sie vor dem zu erwartenden Medienansturm zu schützen. Ein weit vorgezogenes graues Kopftuch umhüllte vollständig den Kopf von Beatrice W. und versteckte ihr Gesicht. Es war ihr ein Leichtes mit zwei Fingern das Kopftuch auch nach vorn zu schließen. Marco N. schützte sich mit Basecap und die hochgezogene durch eine Kordel festgezurrte Kapuze einer grauen Sportjacke. Geschickt umtanzten die beiden Verteidiger ihre Mandanten, um das Fotografieren und Filmen zu erschweren. Doch die Beiden hatten noch weitere Trümpfe parat, um die Arbeit der zahlreich angereisten Journalisten zu erschweren.


Beatrice W. (vorn) und Marco N. im Blitzlichtgewitter vor Prozessbeginn

Erst einmal gaben die beiden Angeklagten ihre Gesichter und ihre Personalien preis. Wer sich allerdings hiervon Aufschluss über den derzeitigen Wohnort erhoffte, der sah sich getäuscht. Richter Zech fragte lediglich:“ Wohnort wie in den Akten angegeben? Was beide abnickten. Dann erklärten sich sowohl der 42-jährige Ofensetzer als auch die 29-jährige Bauzeichnerin bereit vor Gericht zur Sache auszusagen. Weitere Zeugen oder Gutachter waren nicht geladen. Während der gesamten Verhandlung versuchten die Angeklagten, ihre Gesichter trotzdem zu verstecken. Marco N. hielt sich ein Blatt Papier in Richtung Zuschauerreihen und Beatrice W. saß mit dem Rücken zu den Zuschauern und verdeckte zusätzlich mit der Hand den Blick auf ihr Profil. Zu sehen waren lediglich die mit Haarspangen hochgesteckte schwarze Haar. Sein schmales zerfurchtes Gesicht wirkte fahl. Die kurzen dunklen Haare waren angegraut.

Die Verlesung der Anklage durch die Neuruppiner Staatsanwältin Hermann, fasste noch einmal die Vorwürfe gegen der Eltern zusammen: Bis zum zweiten Lebensjahr verlief das Leben mit Jennifer noch in geordneten Bahnen. 1998 stellte eine Kinderärztin fest, dass es bei Jennifer eine Sprachstörung gab. Danach begann für Jennifer das, was dann zusammengefasst als Beschneidung der Sozialkontakte und die Verhinderung des Schulbesuches und des Besuches therapeutischer Einrichtungen beschrieben werden muss. Die Eltern haben damit das Kind in seiner körperlichen und psychischen Entwicklung erheblich geschädigt. Interessant war noch, dass es bereits im Jahre 2005 den Besuch eines Jugendamtsmitarbeiters gab. Auch hier gelang es den Eltern, die Existenz Jennifers zu verheimlich.

Vor der Befragung der beiden Angeklagten durch das Gericht stellte Olaf Müller den Antrag, die Öffentlichkeit wegen der zur erwartenden Verletzung der Privatsphäre seines Mandanten auszuschließen. Seine Kollegin schloss sich diesem Antrag für Beatrice W. an. Schon zur Erörterung dieses Antrages wurde die Öffentlichkeit durch Richter Zech ausgeschlossen. Die durften dann wieder den Gerichtssaal betreten, um sich anzuhören, dass sie bis zur Urteilsverkündung von der weiteren Verhandlung ausgeschlossen blieben. Beweisaufnahme, Plädoyers. All dies dauerte etwa 60 Minuten und fand nun hinter verschlossenen Türen statt.

Zur Urteilsverkündung durften die Wartenden wieder in den Saal, um dann zur Urteilsbegründung gleich wieder ausgeschlossen zu werden. Einen derartig konsequenten Ausschluss der Öffentlichkeit hatte noch keiner der anwesenden Journalisten erlebt.

Das Urteil klang recht Milde. Beide wurden wegen Verletzung ihrer Fürsorge- und Erziehungspflicht zu jeweils 9 Monaten Haft verurteilt, die zu zwei Jahren auf Bewährung ausgesetzt wurde. Sie wurde zusätzlich der Urkundenfälschung für schuldig befunden. Er muss außerdem 200 Euro an die Waldschule in Templin zahlen. Sie erhielt die Auflage, innerhalb eines Jahres 80 Sozialstunden abzuleisten.

Nach der Verhandlung stürmten die nun Verurteilten wieder vermummt aus dem Gericht und Anwalt Müller stellte sich den Fragen der Journalisten: „Er ist zufrieden mit diesem Urteil, dass auch schon rechtskräftig ist.“ Sein Mandant sei erleichtert. Zur Motivation für deren Tun, erläuterte Anwalt Müller: „Die Eltern hatten Angst, dass man ihnen Jennifer wegnehmen würde.“ Das recht milde Urteil erklärte er mit einer Verständigung im Vorfeld. „Beide Angeklagten waren im vollem Umfang geständig. Sie haben ausführliche Aussagen sowohl bei der Beschuldigtenvernehmung als auch heute vor Gericht gemacht. Sie waren auch zuvor nicht straffällig gewesen.“ Und er bestätigte zum Schluss, dass Beatrice W. ihre Tochter Jennifer einmal in der Woche in der therapeutischen Einrichtung besuche. (peter huth)

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